Dirk

Da ist er, der Neue. Das Haus stand etwas zu lange leer, wenn es nach den Erbauern, und Neu-Vermietern geht, die eigentlich keinen Monat ohne Mieteinnahmen auskommen können, da - wie er immer betonte - die Finanzierung ihres neuen Eigenheims mit einer sehr, sehr, heißen Nadel gestrickt worden sei.

Das erste Haus baut man für seinen Feind, das zweite für seinen Bruder und das dritte, das baut man für sich. Axel und Jenny hatten allerhand solcher Häuslebauer-Sprüche parat. Und jetzt ziehen sie also in das Haus, welches sie für ihren Bruder gebaut haben. Wenn die beiden allerdings wirklich den gleichen Bruder teilten, wäre ihre Ehe illegal, aber auf ihre eigene, sehr generierte Art und Weise sehen sie sich tatsächlich ein bisschen ähnlich. Die Gesichter ihrer Kinder bestanden übrigens zu weiten Teile aus Nasenlöchern. Egal aus welchem Blickwinkel man die beiden beim Spielen beobachtete, man konnte immer in ihre zu großen, zu runden, zu weit geöffneten Nasenlöcher gucken. Wie die Mona Lisa, aber eben mit Nasenlöchern statt Augen - faszinierend degeneriert.

Selbstredend übernahmen Axel und Jenny den Innensausbau selbst. Schlüsselfertig bauen kommt für die beiden nicht in Frage. In jeder freien Minute tragen sie ihre Handwerkerhosen, die mit den praktischen, vielen Taschen, auch noch lange nach dem Einzug. Ohnehin ist nie was wirklich fertig in ihrer Bumsbude. Axel irrt den ganzen Tag mit irgendwelchem Werkzeug in den Händen und Bleistift hinterm Ohr angestrengt im und ums Haus, schraubt, klemmt, hämmert, zwingt, tüftelt, mörtelt, bohrt, fräst, nagelt, schwitzt, schweißt, revidiert, schleift, gießt und flucht, wirklich nichts wird jemals richtig fertig in diesem Scheißloch von Haus. Ihr Traum vom ersten Eigenheim wird zur in Beton gegossenen Beethovens Zehnten. Allein schon vom Gruselfaktor her. Spätestens bei der Gartengestaltung war dann Schluss. Das Thema rund ums Haus wird bei vielen Häuslebauern in der Planung vernachlässigt. Vor allem Finanziell.Das Geld reichte noch für eine Hecke aus Thujae (billig, blickdicht, leicht zu pflegen). Ihr Rasen bestand zu 50 Prozent aus widerstandsfähigem, schilfigem Florida Grass, die übrigen 50 Prozent teilten sich Schachtelhalm, Löwenzahn, Klee, und in den heißen Brandenburger Sommern auch vereinzelt Disteln. Zur Geburt ihres zweiten Paar Nasenlöcher schenkten sie sich noch einen Kugel-Ahorn, das war‘s dann aber auch wirklich.

Es war nicht gerade leicht einen Mieter für ihr gesichtloses Eigenheim zu finden, der abstruse Mietpreis von 2500€ pro Monat für den Traum in currybraun, machte es nicht leichter, auch wenn das Haus nur einen Steinwurf vom Mauerweg Berlins entfernt war.  Aber nun endlich zieht der lang ersehnte Mieter endlich ein in ihr erstes Haus, das für ihren Feind gebaute, die Einnahmen sollten die Anschluss- , so wie die „mit ganz ganz heißer Nadel gestrickte“ Neufinanzierung stützen.

Der Neue rollt mit einem Nissan Micra ohne TÜV vor, hinter ihm ein rostiger Ford Transit. Vermögensberater soll er sein, der Dirk. Die Kontoauszüge sahen okay aus, Schufa haben sich Axel und Judy nicht eingeholt, dafür muss man bezahlen und Axel,  der Selfmade Häuslebauer, hatte dafür natürlich keinen Kiesel übrig. „Wird schon passen“, hat er zu Jenny gesagt, die nun fassungslos Dirk‘s Schrottkarre begutachtet und plötzlich von einem starken Ziehen im Unterleib beinah niedergerungen wird. Grau war sie geworden, seitdem sie das zweite Haus bauten, das für ihren Bruder, noch nicht das für sich, das ist ja das dritte, und außerdem blieb ihre Periode auch schon länger aus, den ganzen Tag diese bescheuerten Motivations-Sprüche ihres Ehegatten, der neben ihr stand mit seinem riesigen Werkzeugkoffer in der Hand, als wäre er der Fahrer eines Geldtransporters und sein kostbares Werkzeug mit einer Handschelle an seinem Handgelenk festgekettet. Verdattert beobachten sie, wie die wenigen Habseligkeiten ihres Mieters von drei minderjährigen Rumänen aus dem Ford Transit ausgeladen werden. „Viel ist das nicht“, denkt Axel.

Noch am selben Tag befestigt Dirk das neue Klingelschild an der Zaunpforte. Familie Wegener. Nach zwei Wochen allerdings ist jedem Nachbarn klar, dass da der Wunsch des Gedanken Vater war und seine Frau ihn höchstwahrscheinlich rausgeschmissen hat. Vielleicht hat sie ihn aber auch einfach verloren, denn Dirk ist klein. Sehr klein. Nicht so klein, dass man offiziell von Kleinwuchs sprechen könnte, die Grenze liegt für Männer bei 167 Zentimeter, der Dirk aber mißt 167,5 Zentimeter. Im Winter ein bisschen weniger. Eine besonders gemeine Laune der Natur, aber er kompensierte das mit dem Charme seiner rheinischen Frohnatur. Als er sich einmal bei einem seiner Nachbarn vorstellte, stand er so ungünstig vor dem metallenen Zaun, dass die oberste Strebe genau und durchgängig seine Augen verdeckte. Der zensierte Dirk quasi. Dirk incognito. Unten sein lustiger, rheinisch sprechender Mund mit den irgendwie viel zu vielen Zähnen drinne, eine Etage drüber die recht lange und markante Nase umrahmt von einem Zaunfeld, dann halt einfach irgendwie nichts, gefolgt von der in der Sonne speckig glänzenden, schlecht rasierten Glatze.

Dirk ließ es sich sichtlich gut gehen. In das gemietete Anwesen erhielt nicht nur ein neuer Bewohner Einzug, auch dringend benötigte Luxusgegenstände des täglichen Bedarfs flossen endlich ein. Eine neue Küche mit extra breitem Backofen, Parkettboden im Obergeschoß und auch der Garten bekam ein Facelift: Rollrasen,  vollautomatische Gartenbewässerung und einen Satelliten gesteuerten Rasenmäher-Roboter. Alles Dinge, die man nicht unbedingt macht, wenn man zur Miete wohnt, aber ein Mann von Dirks Format - haha - weiß wie man richtig lebt.

Dirk bekam regelmäßig Besuch. Von seinen Kindern, seinem Hund, einem recht breiten, aber netten Typen und auch von zwei weniger netten aber auch sehr breiten Typen und nach vier Monaten kamen auch Axel und Jenny, aber Dirk machte einfach nicht auf, die Jalousien blieben unten wie auch schon bei den zwei breiten Typen, die Tags zuvor vergeblich schellten.

In ihrer Not klingelten Axel und Jenny bei ihren ehemaligen Nachbarn. Jenny hatte wieder fürchterliche Krämpfe und sie sah schlecht aus. Das Grau ihrer Haare übertrug  sich auf ihr gesamtes Erscheinungsbild. Axel trug wieder seine Handwerkerhose und fragte, ob irgendwas aufgefallen wäre und der Nachbar berichtete von Rollrasen, der Einbauküche und merkwürdigen Zaungästen. Er habe mal ein Bier mit Dirk getrunken, nett sei er, er wirke auf ihn aber wie ein klassischer Hochstapler, immer einen Tick zu viel, die Johannisbeere auf der Kirsche auf der Sahne des Eisbechers und so weiter.

Jenny mußte säuerlich aufstoßen, während

Axel vor Schreck seinen Werkzeugkoffer losließ. Gezahlt habe er noch gar nix, der Dirk, vier Monatsmieten, die Kaution und den Abstand für die Küche schulde er ihnen bereits. 17500€.

„Naja die Küche ist ja jetzt weg“, sagt der Nachbar trocken.Axel antwortet konsterniert: „Kannste nix machen, man kann den Leuten nur vor den Kopf schauen.“

Für diesen Spruch hätte Jenny ihrem Mann am liebsten in seine dämliche Hobby-Handwerkerfresse gehauen, aber sie ist so damit beschäftigt, den Würgereiz zu kontrollieren und nicht ohnmächtig zu werden, dass sie sich nur ein anderthalb Oktaven zu hoch und halb gehauchtes „tjaaahahahha“ abringen kann, halb lachend, halb weinend, Hysterie und Aphasie geben sich die Hand. Es ist eine Farce.

Auf dem Nachhauseweg muss Axel anhalten und Jenny übergibt sich mehrmals heftig. Sie stützt sich mit den Händen an der Leitplanke, krampft so stark, dass ihre Beine nach hinten austreten und unter lautem Röhren schießt der letzte Rest gelber Galle aus ihrem Körper. „Wie ein Elch in der Brunftzeit“, denkt Axel, während Jenny feststellt, dass sie vor lauter krampfen  eingekackt hat.

Währenddessen geht bei Dirk das Leben wieder los. Kaum sind seine Vermieter weg, öffnen sich die Jalousien und er trottet gemütlich pfeifend über den saftig grün leuchtenden Rollrasen zu seinen Nachbarn, um ein Paket abzuholen. Ein Thermomix habe er sich gegönnt, sagt er stolz.

Noch am selben Abend kommen seine drei Kinder und sie feiern ein großes Grillfest, als wenn nichts gewesen wäre.

Jenny geht es zunehmend schlechter. Sie ist  komplett ergraut, und jetzt fallen ihr die Haare auch noch aus. Jede ausbleibende Monatsmiete hat sie um drei Jahre altern lassen. Sie fragt sich, woher ihre Kinder diese abartig großen Nasenlöcher haben und wie Axel darauf kommt, überhaupt eine handwerkliche Begabung zu haben. Neulich hat er im Haus („das für ihren Bruder“) den Spülkasten im Gäste-WC so dermaßen dumm eingebaut, dass die Tür nun nicht mehr schließt. Axel selber hat noch ganz andere Probleme. Mit Dirk hat er per Handschlag abgemacht, dass er sich bei den Strom- und Wasserwerken anmeldet. Das hat Dirk natürlich nicht gemacht und da Axel sich aber auch nie offiziell abgemeldet hat, sitzen sie auf den Kosten. Zusätzlich zu den 2500€ Miete kommen jetzt also noch 500€ Nebenkosten und zwar jeden Monat, auf die sie Dirk einladen. Die Räumungsklage läuft, aber das dauert, sagt ihr Anwalt (Anwaltskosten 3500€ Regelsatz, Axel hatte die Rechtsschutzversicherung zur Grundsteinlegung des zweiten Hauses gekündigt)

Zeitgleich lässt Dirk 25000 Liter Leitungswasser in den neu aufgestellten Pool laufen. Es wird bald vorbei sein, das weiß er. Seine Gläubiger, ehemaligen Klienten, seine Vermieter, Freunde, sogar seine Noch-Ehefrau haben Ansprüche.  Die Gesamtsumme der Forderung beträgt 1,17 Millionen Euro. Er weiß, dass er einfahren wird, deswegen scheißt er nochmal mit Anlauf auf alles. Im Knast gilt man übrigens mit einer Körpergröße von 167,5 schon als absolute Delikatesse. Auch das weiß er, der Dirk.

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Lothar