Arne

Arne hat ein Problem. Ein zweitägiges. Es heißt Wochenende. Er weiß da nämlich einfach nicht, was er anziehen soll. Arne arbeitet unter der Woche als Anlageberater bei einer mittelständischen Bank. Dresscode Anzug, Krawatte, Lederschuhe, Banker Look, wenig Raum für Kreativität und Individualität - sein Glück.

Diesen Samstag war‘s wieder besonders schlimm. Er stand vorm Spiegel und musterte sich von Kopf bis Fuß. Die Haare sind noch recht dicht für Anfang 30, aber sie fangen relativ weit oben an. Man kann nicht mehr von einer hohen Stirn sprechen, weil da wo seine Haare anfangen, ist die Stirn definitiv vorbei und der Verlauf seiner Schädelform hat hier den steilen Anstieg beendet und  ist schon fast in eine parallel zur Erdoberfläche verlaufenden Geraden übergangen. Zur besseren Vorstellung, Arne hat einen liegenden Eierkopf. Durch diesen extrem hohen Haaransatz hat das Gesicht selbst sehr viel Platz seine Wirkung zu entfalten, obwohl das gar nicht unbedingt nötig ist, findet er, finden die anderen auch, aber so ist das eben.

Er hat sich heute für ein kariertes kurzärmliges Hemd entschieden, darüber einen Cognac farbenen Pullunder aus Wolle, eine beige Chino Hose und braune Slipper. Ganz genau, Slipper. Es gibt nicht viele Leute, die braune Slipper casual  tragen können, Arne gehört ganz sicher nicht dazu. Um die recht weiche Haut seiner die meiste Zeit bewegungslos unter dem Schreibtisch  verharrenden Füße zu schützen, hat er sich zusätzlich für weiße Sneakersocken entschieden und er sieht einfach nur scheiße aus, wie er seiner Tochter Margarethe über den Spielplatz hinterherläuft, leicht übergewichtig und würdelos deplatziert. Die anderen Besucher des Spielplatzes, Kinder wie Eltern, sind sich sicher, das Margarethe gar nicht verstecken spielt, sie flüchtet vor ihrem Vater und seinem scheußlichen Anblick.

Arne’s Slipper verkannten sich andauernd im leicht feuchten Sand, die feinen Körner gelangen unterhalb des Knöchels in die Sneaker Socken, scheuern ihm die Füße wund und er schwitzt. War es heute morgen noch recht frisch, kommt jetzt die Sonne raus und die Merinowolle seines Pullunders leistet ganze Arbeit. Er hat kreisrunde Schweißflecken unter seinen Achseln und als das karierte Kurzarmhemd seine maximale Feuchtigkeits - Aufnahme Kapazität erreicht hat, kullern ihm die salzigen Perlen wie wohl genährte Blattläuse die Arme entlang, hüpfen vom Handgelenk in den Sand und versickern dort lautlos. Aufgrund seiner komischen Schädelform bricht das Sonnenlicht auf seiner bügelfeuchten Stirn in seine Spektralfarben und läßt den Walddörfer Spielplatz in Hamburg Volksdorf in einem ganz besonderen Licht erstrahlen, mit Arne in der geometrischen Mitte des riesigen Areals als lebendige Discokugel.

Arne flucht leise, schließt die Augen und denkt an Montag acht Uhr morgens, wenn die Börse in Frankfurt wieder aufmacht und er endlich wieder einen seiner Anzüge tragen darf. „Mein Safe Space“, seufzt er und geht Margarethe suchen, die sich bei einer fremden Familie unter falschem Namen vorgestellt und Obhut gefunden hat.

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Dirk