Manuela

Manuela wollte unbedingt Elternsprecherin der Klasse ihres Sohnes Matteo werden, also ließ sie sich beim ersten Elternabend der 1a aufstellen. Die Sympathien lagen allerdings Zuzu ihren Ungunsten bei der einzig anderen Kandidatin Astrid, einfach weil sie hübscher war und die Väter an diesem Abend in der Überzahl - manche Dinge ändern sich nie. Schliesslich ernannte sie sich selbst zur stellvertretenden Elternsprecherin oder besser gesagt zur sprechenden Elternstellvertreterin, denn von nun an gab sie den Ton an in der eigens gegründeten WhatsApp Gruppe. Maik und Mike wollten eigentlich lieber Telegram als Plattform wegen `privacy concerns`, das ging aber nicht, weil Günther, der älteste Vater in der Runde, beziehungsweise sogar der älteste Vater des ganzen Landkreis Dahme- Spreewald schon mit WhatsApp zu kämpfen hatte und man befürchtete, ihn damit zu überfordern oder gar einen Schlaganfall zu provozieren.

„Er ist wieder da“, schrieb Manuela in den Chat und postet ein von ihr aus dem Auto aufgenommen und stark rangezoomtes Foto eines Mannes um die 50, grau, zerzaust, verpeilt und offensichtlich obdachlos. „Dieser Mann wurde letztes Jahr vor der Schule, der Kita, dem Hort und der anderen Kita im Ort gesichtet, wie er Kinder ansprach und sich im unteren Bereich seines Körpers anfasste. Er wurde dann später von der Polizei festgenommen. Passt auf eure Kinder auf und seit wachsam!!“ Manuela war richtig erregt als sie diesen Text schrieb, das triggert immer ihre Legasthenie.  Endlich mal was los im Osten. Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten.

Daumen Hoch von Maik und Kemal, bald folgen Jenny und Danny. Der andere Mike liked per Aubergine, korrigiert aber schnell zu Daumen Hoch, vertippt hat er sich mit seinen dicken Klempner-Fingern. Es folgen Thomas, Serpil und Swantje, Jenny, Pavel, Ranjid, Beth und Michael. Der alte Günther reagiert nicht. Er hat neulich versehentlich WhatsApp gelöscht, aber dafür hat er als legitimierter Klassenwart der 1a ein Konto bei der Kreissparkasse eingerichtet, weil er das mit Paypal nicht hinbekommen hat.  Dann passiert kurze Zeit nichts im Chat und Manuela wird schon ein bisschen nervös, aber man sieht, dass jemand etwas schreibt. Die Mutter von Vanessa. Manuela ist gespannt.

„Ist das ein offizielles Fahndungsfoto? Ansonsten erfüllt das hier den Tatbestand der Verleumdung und könnte eine Anzeige nach sich ziehen. Zur Klarstellung, bei dem abgebildeten Mann handelt es sich um einen Obdachlosen, der letztes Jahr gross und klein ansprach, weil er den Weg nach Berlin nicht zurück gefunden hat. Er ist geistig verwirrt und wurde von der Polizei aufgegriffen und in ein Krankenhaus  gebracht. Hier der Link zu dem Schreiben der Kita Mohnblume vom letzten Jahr.“

„Diese Anwalts-Schlampe“, platzt es aus Manuela heraus. Sofort fängt sie an wie wild in ihr Handy zu tippen:

„Dieser Mann hat vor den Kindern masturbiert und ich will hier nur unsere Kinder schützen dass ist kein Fahndungsbild aber es ist, eine Warnung an alle besorgten Eltern.“ Ihr geht nun sämtliches Gefühl für Grammatik, Satzzeichen und Rechtschreibung flöten.

„Schon gut Manu, danke für die Info, wir sind wachsam“, schreibt Kemal, „bei solchen Leuten weiß man nie. Da muss man im Zweifel schnell und unbürokratisch handeln“, fügt er hinzu, löscht aber nach einer Minute den Zusatz wieder.

„Also ich fahre heute Nachmittag zwischen Kita, Schule und Hort Patrouille, wenn wer mitkommen will, bitte PM an mich“, schreibt Maik.

Der alte Günther hat WhatsApp wieder installiert bekommen und ließt mit, weiß aber nicht, was eine PM ist.

„Danke, das ihr das macht. dieser Widerling holt sich vor unseren Kinder einen runter ja muss denn, erst etwas passieren, das die Polizei die den ein für alle mal wegsperrt?“, legastheniert Manuela weiter. Am liebsten hätte sie das Wort  „wichsen“, benutzt, aber das hat sie sich nicht getraut. Sie steht in der Küche und schaut auf ihren Mann. Der wichst auch ziemlich viel, sie weiß das. Er wichst nämlich in seine Socken und sie macht die Wäsche. Sie ekelt sich aber mittlerweile nicht nur vor seinen vollgewichsten, klebrigen Socken, sein ganzer Körperbau macht sie wütend. Sie mustert ihn von Kopf bis Fuß. Die wenigen Haare haben keine Farbe, weder Blond noch Braun, die Nase ist zu spitz und kurz und wird untermauert durch einen Überbiss, fliehendes Kinn, hängende Schultern und ein konkaver Arsch, der von viel zu breiten, recht weiblichen Hüften mit Hilfe zwei kurzer und nie ganz durchgestreckter Beine durch die Gegend getragen wird. Sein  Bauch wird auch nicht kleiner durch die Scheisse, die der Wichser den ganzen Tag lang frisst.

Aber er war halt da, damals beim Prophylaxe Kongress in Leipzig, als sie die Hoffnung mit 39 schon fast aufgegeben hatte überhaupt noch mal jemanden zu finden, der sie schwängert. Zu diesem Zeitpunkt kam ihre Periode schon eher unregelmässig und relativ klumpig daher, gemischt mit seinem Genpool gleicht es einem medizinischen Wunder, dass es überhaupt geklappt hat. Als sie sich an der Bar trafen, trug sie eine Multifunktionsjacke von Tschibo, die stoffgewordene Allzweckwaffe für den Oberkörper, quasi das Schweizer Taschenmesser der Textilindustrie. Er war schon zu besoffen, als dass er ihren hageren Verlockungen hätte Widerstehen können und so wurde sie schon beim ersten Treffen schwanger.

Während all dem steht Witold völlig verwirrt vor einer Grundschule. Er hat schon wieder diesen verdammten Bus genommen, der immer in die verschissene falsche Richtig fährt. Das Leben hat es noch nie gut mit ihm gemeint. Er entstammt einer Dynastie von Tagelöhnern, Alkoholikern und Kleinkriminellen, seine Eltern sind aus Polen nach Deutschland gekommen, haben es aber nie wirklich geschafft Fuss zu fassen und er wurde Ihnen im Alter von zwei Monaten vom Jugendamt weggenommen.  Sie fanden ihn in einem Gitterbett im Flur eines Plattenbaus in Berlin Gropiusstadt, halbnackt und zitternd, seine Ausscheidungen bildeten verkrustete Stellen auf seinem winzigen Körper. An einer umfunktionierten, einarmigen Schreibtischlampe baumelte eine Nuckelflasche, ausgerichtet auf die Höhe seines kleinen Mundes, gefüllt mit einer widerlichen, vor sich hingärenden Mischung aus Bier, Wasser und geflocktem Milchpulver. Selbst für die Angestellten des Jugendamtes war das ein kaum zu ertragender Anblick. Im Anschluß kam Witold zu einer Pflegefamilie, die sich zwar rührend kümmerten, aber sein Gehirn war zu sehr im Arsch durch die Verfehlungen seiner Hurenmutter und seines versoffenes Vaters, als das jemals irgendwas aus ihm hätte werden können.

Jetzt stand er da in der Pampa und wußte mal wieder nicht, wie er hier wegkommt. Letztes Mal haben ihm die Bullen geholfen und ihn in ein Krankenhaus gebracht, dort hat man ihn gewaschen und die eitrigen Stellen an seinem vor Schmerzen pochenden Penis mit Jodtinktur versorgt. Aber heute ist hier keine Polizei zu sehen, überall sind Kinder und Eltern und überhaupt juckt sein Schaft schon wieder so sehr, die ganze Zeit muss er sich den Schwanz kratzen, sein Gemächt an irgendwas reiben, dabei wurde er auch noch aus dem Auto heraus von einer äußerst hageren Frau in einer Funktionsjacke fotografiert.

Er irrt durch den Vorort, er läuft in Richtung der Hochhäuser, die er meint am Horizont zu erkennen, vorbei an einer Kita und merkt nicht, wie er von einem Dodge Ram verfolgt wird. Der Dodge Ram wird in Amerika gebaut und ist ein sogenannter Pickup Truck, auf dessen Ladefläche eine dreiköpfige Familie problemlos wohnen könnte. Der einzige Absatzmarkt außerhalb der USA ist Ostdeutschland, vornehmlich Brandenburg.  Die Strassen sind zu kaputt und die Kurven zu eng für dieses Monster von Auto, aber Maik hat sich dieses Teil gekauft, beziehungsweise auf Rate geklärt, denn mehr gibt sein Gehalt als Polizeihauptmeister nicht her. Neben ihm auf dem Beifahrersitz Kemal, auf der Mittelkonsole ruht die geladene Sauer P225. Vor ihnen torkelt Witold orientierungslos vor sich hin. Die vergilbte, verschlissene Jeans rutscht ihm alle paar Meter bis auf die Kniekehlen runter und er nutzt diese Gelegenheit, um sich den schmerzenden Schwanz zu kratzen.

„Dieses widerliche Schwein“, blubbert es aus Maik heraus, er greift zur Mittelkonsole und richtet den Lauf seiner Dienstwaffe auf Witold.

„Stehen bleiben, Polizei“, übertönt er das Gebrüll der mindesten 24 Zylinder seiner Spritschleuder und Witold wähnt sich in ihm helfender Sicherheit. Er hört einen Schuss, aber noch bevor er sich umdrehen kann trifft die Kugel ihn in der Arschritze, zwischen Po-Loch und Sack dringt sie in seinen Körper ein, zerfetzt beim Austritt seine Hoden und trennt sein chronisch entzündetes Glied vom Rest des Körpers ab. Es fliegt in hohem Bogen auf die andere Straßenseite und landet vor den Füßen des alten Günthers, der sich gerade auf dem Weg zur Sparkasse befindet, um das Geld für die Klassenfahrt der 1A auf das Konto einzuzahlen.

Witold sackt zusammen und verliert das letzte bisschen seines eh schon wenigen Bewusstseins. Der alte Günther kommt über die Strasse gelaufen. Er schaut auf Witold herab, dessen lebloser Körper nun von einer immer grösser werdenden Blutlache gesäumt wird. Das Blut sieht merkwürdig eiterfarben aus und flockt stark.

Günther beugt sich zu ihm runter.

„Geschichte wiederholt sich“, murmelt er und schließt Witold die Augen.

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Lothar